28.8.2023, ZfK/dpa, Foto© Joachim Wasserthal

Windräder dürfen in Nordrhein-Westfalen (NRW) künftig unter strengen Voraussetzungen näher an Wohnhäuser heranrücken. Der Landtag schaffte am Freitag mit breiter Mehrheit den umstrittenen pauschalen 1000-Meter-Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Wohnsiedlungen im bevölkerungsreichsten Bundesland ab. Für den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen von CDU und Grünen votierten in namentlicher Abstimmung 148 von 170 Abgeordneten. Auch die SPD als größte Oppositionsfraktion schloss sich dem Gesetzentwurf an. FDP und AfD stimmten dagegen.

NRW ist nach einer Übersicht des Bundesverbandes Windenergie (BWE) damit künftig neben dem Saarland und Sachsen-Anhalt eines der wenigen Bundesländer, die keine pauschalen Abstandsvorgaben mehr haben. In fast allen Ländern gibt es noch Abstandsvorgaben oder -empfehlungen von wenigen Hundert bis zu 1000 Metern. Wegen strenger Vorschriften etwa zum Lärmschutz werden Windanlagen nach Einschätzung des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE) aber auch in NRW künftig in der Regel mehrere Hundert Meter von Wohnbebauungen entfernt stehen.

Umdenken bei CDU
Der Wegfall der 1000-Meter-Abstandsregel soll dem Ausbau der Windkraft in NRW einen Schub geben. Laut schwarz-grünem Koalitionsvertrag sollen in dieser Legislaturperiode in NRW mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen errichtet werden.
In der CDU hatte es lange Bedenken gegen die Abschaffung des Mindestabstands gegeben. Seit der Landtagswahl 2022 regieren die Christdemokraten in NRW aber nicht mehr mit der FDP, sondern mit den Grünen, für die der Ausbau der Windkraft ein Herzensthema ist. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der folgende Anstieg der Energiekosten hatte ein Umdenken bei der CDU bewirkt.
FDP befürchtet „Wildwuchs“
Nach der Einführung der Abstandsregeln durch die damalige CDU/FDP-Regierung habe sich „der Wind gedreht“, sagte der Grünen-Abgeordnete Michael Röls-Leitmann. Der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes sagte dagegen, die bisherigen Abstandsregeln hätten Rechtssicherheit und Verlässlichkeit geschaffen. Nun komme stattdessen ein kompliziertes Planungsrecht. „Die schwarz-grüne Landesregierung pfeift auf den geordneten Ausbau und die Akzeptanz im Land und nimmt den Wildwuchs von Anlagen billigend in Kauf.“
Nach Ansicht der SPD hätte die Abstandsregel schon früher gestrichen werden können. Die Landesregierung müsse den erwarteten Ausbau der Windkraft nun auch realistisch einschätzen, sagte der SPD-Abgeordnete André Stinka. „Bei allem Streit, das Ziel des Ausbaus der erneuerbaren Energien und das Ziel, den Industriestandort Nordrhein-Westfalen zu erhalten, ist massiv und muss für die Akzeptanz der Energiewende insgesamt in der Bevölkerung gelingen.“

NRW auf Spitzenplatz
Insgesamt wurden in NRW in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres laut Landesregierung 178 Windenergieanlagen genehmigt. NRW war damit Spitzenreiter im Vergleich der Bundesländer. 45 Anlagen wurden in diesem Zeitraum in Betrieb genommen. Davon ersetzten 13 bestehende, weniger leistungsfähige Anlagen („Repowering“).
Für diese Erneuerung älterer Windanlagen war die 1000-Meter-Regel bereits früher gekippt worden. Die 45 neuen Anlagen sind im Schnitt 216 Meter hoch. Die Höhe liegt damit leicht über dem Bundesschnitt von 206 Metern. Die SPD bezweifelt, dass die Landesregierung ihr ehrgeiziges Ausbauziel von 1000 neuen Windanlagen bis 2027 erreichen kann.

1,8 Prozent
Künftig wird der Ausbau der Windkraft in NRW durch regionale Flächenvorgaben gesteuert. Im Juni hatte das Landeskabinett den Entwurf eines neuen Landesentwicklungsplans (LEP) auf den Weg gebracht. Bis zum Jahr 2032 muss NRW 1,8 Prozent der Landesfläche (61.400 Hektar) für Windenergie ausweisen. Das Land will dieses Ziel bereits bis 2025 erfüllen. Der LEP mit Flächenvorgaben für den Windkraftausbau für sechs Regionen soll im Frühjahr 2024 in Kraft treten. Derzeit sind nach Lanuv-Angaben rund 1,3 Prozent der Landesfläche planerisch für Windenergie gesichert. Die Flächenpotenziale konzentrieren sich demzufolge besonders auf die Randbereiche Nordrhein-Westfalens. Für viele Großstädte im Ruhrgebiet und an der Rheinschiene wurden dagegen keine Flächenpotenziale identifiziert. Die größten Potenziale liegen der Studie zufolge vor allem im Hochstift Paderborn und dem östlichen Teil des Sauerlands, im Nordwesten des Münsterlandes sowie im westlichen Teil des Regierungsbezirks Köln.

Stadtwerke zufrieden
Der Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE NRW), Christian Mildenberger, begrüßte die Abschaffung des 1000-Meter-Mindestabstandes. Die Regel sei mit einer der entscheidenden Gründe für lahmenden NRW-Windenergieausbau in den zurückliegenden Jahren gewesen. Der Verband sehe bei der Landesregierung „eine Reihe von positiven Signalen“ dafür, dass demnächst „endlich wieder mehr neue Windenergielagen in Betrieb gehen werden“.
Auch die Stadtwerke Münster sprachen von einer guten Nachricht. „Weniger Bürokratie schafft mehr Tempo beim Erneuerbarenausbau“, sagte Stadtwerke-Geschäftsführer Sebastian Jurczyk. „Dadurch halten wir die Energiepreise stabil, sichern die Versorgung und leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.“

Keine pauschalen Grenzen
Grenzen bei der Projektierung von Windenergieanlagen seien den Stadtwerken Münster auch künftig gesetzt. „Anwohnende profitieren weiterhin von den strengen Vorgaben des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu Umwelteinwirkungen wie Schattenwurf oder Geräuschen. Sie erfolgen allerdings auf Basis von gesetzlichen Grenzwerten und realen Messwerten und nicht pauschal“, erklärt Maximilian Wolf, der die Abteilung Erneuerbare Energien bei dem kommunalen Versorger leitet.
Darüber hinaus müssen Windenergieanlagen einen Abstand ihrer zweifachen Gesamthöhe auch im Außenbereich zu jedem Wohnhaus einhalten, damit sie nicht optisch bedrängend wirken. Aktuell betreiben die Stadtwerke Münster 21 Windenergieanlagen an verschiedenen Standorten von Borkum bis Münster-Wolbeck. Bis 2030 soll ihre Zahl auf mehr als 40 Anlagen wachsen.

Siehe auch STEFAN AUST: Abstandsregeln für Windkraft? „Ein massiver Eingriff in das Eigentum!“ Mehr …