Schnellerer Windkraftausbau durch effizientere Gerichtsverfahren? Was das Gesetz konkret vorsieht und was der NABU dazu meint. Trotzdem, Habeck ruft zur Kühnheit auf!

ZfK, Zeitschrift für Kommunale Wirtschaft

12.2.2023

Schnellerer Windkraftausbau durch effizientere Gerichtsverfahren?

 Bevor neue Windräder oder Fernstraßen gebaut werden können, hängen die Projekte oft jahrelang vor deutschen Verwaltungsgerichten fest. Das soll ein neues Gesetz ändern, welches der Bundestag nun gebilligt hat. Bei manchen bleiben aber Zweifel.

Windräder, Stromleitungen, Schienen: Gerichte sollen künftig über wichtige Ausbauprojekte für erneuerbaren Energien und andere große Infrastrukturvorhaben schneller entscheiden. Das hat der Bundestag am Freitag beschlossen. Ziel der Reform der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist, bei als besonders bedeutsam eingestuften Projekten die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zu verkürzen. Zu diesen Vorhaben zählen unter anderem der Ausbau des Schienennetzes sowie von Windenergie-Anlagen, Fernstraßen, größeren Gasversorgungsleitungen und Hochspannungsleitungen.

Die neuen Regeln sollen dazu beitragen, dass Deutschland etwa seine ehrgeizigen Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien für das Jahr 2030 erreicht. Allein die Windkraft an Land soll sich bis dahin mehr als verdoppeln. Planung, Genehmigung und Bau eines Windrads dauern im Schnitt fünf bis sieben Jahre. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stromverbrauchs hierzulande aus erneuerbaren Energiequellen kommen.

Was das Gesetz konkret vorsieht

Das Gesetz sieht beispielsweise die Bildung spezialisierter Kammern oder Senate für Planungsrecht sowie Fristen vor, damit sich Verfahren zu solchen Großprojekten nicht mehr jahrelang hinziehen. Das Personal an den Gerichten soll zudem entlastet werden: In bestimmten Fällen können künftig einzelne Richter oder kleinere Kammern Entscheidungen in solchen Verfahren treffen. Darüber hinaus soll ein Gericht einen Mangel des angefochtenen Verwaltungsaktes außer Acht lassen können, wenn offensichtlich ist, dass dieser bald behoben sein wird.

Der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner sagte, das neue Gesetz habe drei Säulen: «Mehr Flexibilität für Gerichte, Arbeitserleichterung und straffere Verfahren». Es sei natürlich nicht der große Wurf, der alle Probleme löse. Aber das habe auch niemand behauptet. «Wenn wir es ernst meinen, (…) dann müssen wir jeden einzelnen Stein umdrehen und die Potenziale bergen», sagte Benner. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP angenommen. Die Linksfraktion stimmte ebenfalls zu. Die Abgeordneten von Union und AfD votierten dagegen.

Reformen gut gemeint, aber…

Scharfe Kritik kam indes von der Opposition. Die Reform sei allenfalls gut gemeint, mit Sicherheit aber schlecht gemacht, sagte der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer. Weil manche Regelungen vollkommen vage seien, befürchte er, dass das Gesetz sogar zu Verzögerung führen könnte. Susanne Hennig-Wellsow (Linke) hielt die Zielsetzung des Gesetzes für richtig und gut – bemängelte aber, dass die Bundesregierung etwa das Bundesverwaltungsgericht bereits jetzt mit mehr Personal ausstatten könnte. Es werde nichts schneller, wenn man wichtige Stellschrauben vergesse, sagte sie.

Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor kritisierte die Ampel-Regierung für ihr «Mini-Reförmchen». Das Etikett einer Planungsbeschleunigung habe es nicht verdient. Wie mehrere seiner Vorredner sah er mehr Potenzial für Beschleunigung im Planungsverfahren – also im Stadium vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung. «Statt den Stall voller Probleme im Planungsverfahren auszumisten, suchen sie die feine, goldene Nadel im Heuhaufen», sagte Amthor. Das sei zu wenig. (dpa/gun)

Nabu: Mangelnder Artenschutz bei Windkraft-Ausbau

Die Mühlen der deutschen Bürokratie gelten als Hemmnis für den schnellen Ausbau von Windkraft oder Stromleitungen. Aus Sicht des Nabu macht die Ampel dabei zu viele Abstriche beim Artenschutz. Aus der Wirtschaft kommen ganz andere Töne.

Der Naturschutzbund (Nabu) sieht den Artenschutz beim Ausbau der Windenergie in Deutschland nicht genügend berücksichtigt. „Ich bin schwer enttäuscht von Robert Habeck und Steffi Lemke, sie tragen als Grüne die Schwächung des Artenschutzes mit“, sagte Naturschutzbund-Präsident Jörg-Andreas Krüger der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ mit Blick auf den Klimaschutz- und die Umweltministerin.

„Aber natürlich muss man auch anerkennen, dass sie in einer Koalition mit SPD und FDP regieren. Und die haben derzeit überhaupt kein Interesse am Artenschutz, ihr Motto scheint stattdessen zu sein: Planungsbeschleunigung, koste es, was es wolle“, so Krüger. Allein die Kapazität der Windkraft an Land soll sich von 58 Gigawatt im Jahr 2022 bis 2030 auf 115 Gigawatt verdoppeln. Derzeit dauern Planung, Genehmigung und Bau eines Windrads im Schnitt aber fünf bis sieben Jahre.

Nabu: Artensterben ebenfalls existenzbedrohend

Das Bundeskabinett hatte Ende Januar die Umsetzung neuer EU-Regeln auf den Weg gebracht. Damit soll für Windräder oft die Prüfung auf Umweltverträglichkeit und Artenschutz für einzelne Anlagen entfallen. Habeck sprach von einem „Windausbau-Beschleuniger“, der einen entscheidenden Fortschritt bei der Geschwindigkeit von Genehmigungsverfahren bringen würde. Laut dem Wirtschaftsminister müsste der Artenschutz aber nicht zurückstehen – für die Einhaltung sollen die Betreiber der Anlagen sorgen.

„Naturschutz und Klimawandel werden gegeneinander ausgespielt, Naturkrise und Energiekrise zum Gegensatz gemacht“, kritisiert Krüger. „Dabei ist unbestritten, dass das Artensterben für die Menschheit ebenso existenzbedrohend ist wie der Klimawandel.“

DIHK: Beim Naturschutz maßvoll bleiben

Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, plädierte dagegen mit Blick auf Bauvorhaben allgemein für mehr Zurückhaltung beim Thema Naturschutz und für ein höheres Tempo bei der Genehmigung von Projekten. „Wir haben uns in Deutschland einen Verfahrensluxus zugelegt. Die Genehmigungsprozesse sind häufig überladen“, sagte Adrian der „Bild am Sonntag“. „Allein die Verfahren zum Schutz der Flora und Fauna ziehen sich teilweise über Jahre.“

In Deutschland würden bereits jährlich viele Millionen Euro für die Umsiedelung seltener Vögel und für Eidechsen-Schutzzäune an Autobahnen ausgegeben. 2Projekte werden gestrichen oder aufwendig umgeplant, weil das betroffene Bauland eventuell ein Nistraum für das Haselhuhn sein könnte. Ich möchte den Naturschutz keinesfalls infrage stellen, denn er ist wichtig. Aber wir sollten bei allem maßvoll bleiben“, sagte der DIHK-Chef. Dabei gehe es auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Carsten Schneider: Wettbewerbsvorteile für Ostdeutschland durch Windkraftausbau

Bosch-Chef Stefan Hartung hofft auf eine breite Debatte zum von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Deutschland-Tempo“ bei Infrastrukturprojekten. „Es wird einen politischen und gesellschaftlichen Dialog dazu geben müssen. Und er wird vielleicht auch ein bisschen kontroverser sein“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Es dürfe nicht darum gehen, „dem Nachbarn gegen seinen Willen ein Windrad in den Garten stellen.“ Es müsse immer noch einen Aushandlungsprozess geben, was man als Gesellschaft richtig und falsch finde.

Mit Blick auf den Windkraftausbau verwies der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, auf mögliche Wettbewerbsvorteile für Ostdeutschland. „Die Unternehmen sitzen in Zukunft dort, wo der Strom produziert wird. Grüner Strom kann damit zu einem großen Standortvorteil für den Osten werden“, sagte der SPD-Politiker der Bild am Sonntag (BamS). „Anders als in Bayern haben wir den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht verschlafen.“ Die „wirtschaftliche Landkarte Deutschlands“ werde deshalb gerade neu gezeichnet. (dpa/hcn)

10.02.2023

Energiewende: Habeck ruft zu „Kühnheit“ auf

 Der Vizekanzler versprach beim BEE-Energiedialog 2023 eine „disruptive Politik“. Beitreiber von Erneuerbaren-Anlagen sollten spezielle Finanzinstrumente erhalten, um den Übergang bis 2030 zu bewältigen.

Deutschland müsse die Energiewende „gebacken bekommen“, damit es auch von anderen Ländern verlangen könne, ihre CO2-Emissionen zu senken. Das sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gestern in einer Grundsatzrede anlässlich des Energiedialogs 2023 des Bundesverbandes der Erneuerbaren Energien (BEE).

Die Energiewende nannte Habeck dabei ein „kühnes Unterfangen“. Bei der Energieversorgung unabhängig von Russland zu werden, sei ebenso kühn gewesen – und trotzdem gelungen. Es gehe darum, die Marktbedingungen in kurzer Zeit so anzupassen, dass die Transformation gelingen könne.

«Geisterstrom» und «Sackgasse»: Olaf Scholz will fünf Windräder am Tag bauen lassen. Doch in seiner Rechnung stecken zwei überraschende Unbekannte.

Olaf Scholz hat es zur Chef-Sache gemacht: Vier bis fünf Windkrafträder sollen in Deutschland demnächst fertiggestellt werden – pro Tag, fordert er.

Damit unterstützt der Kanzler seinen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der Gleiches will. Doch die beiden haben in ihrer Rechnung zwei Unbekannte, die ihre Kalkulation noch durchkreuzen können.

Die erste Unbekannte hängt mit einem System zusammen, das den hübschen Namen «Geisterstrom» trägt. Dahinter verbirgt sich eine Absurdität: Wenn der Wind stark bläst, produzieren die Windräder zu viel Strom. Um die Netze nicht zu überlasten, werden sie deswegen abgeschaltet. Die Anlagenbetreiber aber erhalten ihr Geld, als hätten sie den Strom produziert und eingespeist. Es ist Strom, der bezahlt wird, obwohl es ihn gar nicht gibt. «Geisterstrom» eben. Und mit jedem zusätzlichen Windrad steigen die Zahlungen an, solange die Netze nicht gross genug sind, um den Strom abzutransportieren. Scholz müsste also den Netzausbau beschleunigen, anstatt neue Windräder in die Landschaft zu pflastern.

Die zweite Unbekannte sitzt im Wirtschaftsministerium. Und zwar wortwörtlich. Es ist genauer gesagt ein bislang Unbekannter. Er heisst Nikolai Ziegler und arbeitet in Habecks Abteilung für «Internationale Wirtschaftsfragen». Privat ist Habecks treuer Beamter erster Vorsitzender einer Gruppe, die sich «Bundesinitiative Vernunftkraft» nennt und so ziemlich alle lokalen Initiativen von Windkraftgegnern bündelt und vertritt.

«Habeck beschleunigt in die Sackgasse», lautet die jüngste Nachricht, mit der Zieglers Verein die Pläne seines Chefs durchkreuzt. (!)